Gladbachs Dominanz in allen Spielphasen – Sieg bei St. Pauli!

Foto: Dirk Päffgen

Borussia Mönchengladbach gewinnt nach einer halben Ewigkeit mal wieder ein Bundesligaspiel. Und dann so! Eugen Polanskis Elf kontrollierte und dominierte über 75 Minuten den Gegner in allen Spielphasen. Spielt so eine Mannschaft, die tief im Abstiegskampf steckt? Nö!

Was die Fohlenelf so stark machte und wie Polanski seine Spieler im richtigen Set-up zusammenbrachte, erklärt Deniz (@denizguelr.bsky.social).

Grundordnungen beider Mannschaften

Borussia Mönchengladbach trat beim FC St. Pauli in einer 5-2-3 / 5-3-2-Grundformation gegen den Ball an. Trainer Eugen Polanski vertraute folgender Startaufstellung:
Nicolas im Tor – Scally, Sander, Elvedi, Diks, Ullrich in der Fünferkette – Reitz, Engelhardt und Neuhaus im Mittelfeld – Tabakovic und Honorat in der Doppelspitze. Die Gastgeber vom FC St. Pauli formierten sich im 5-4-1-System: Vasilj zwischen den Pfosten – Saliakas, Wahl, Smith, Mets und Oppie in der Defensive – Lage, Sands, Fujita und Afolayan im Mittelfeld – Sinani als alleinige Spitze, der sich mit Ball jedoch zwischen den Linine positinierte.

Im Vergleich zum Pokalspiel gegen den Karlsruher SC nahm Polanski also drei personelle Änderungen vor: Ullrich ersetzte Netz auf der linken Außenbahn, Neuhaus rückte anstelle von Stöger ins zentrale Mittelfeld, und Scally verdrängte Machino aus der Startformation auf der rechten Abwehrseite, sodass Honorat erstmals als zweite Spitze – neben Tabakovic – fungierte.

Taktikanalyse

Borussias Grundordnung mit Ball: Neuhaus als Initiator

Borussia Mönchengladbach organisierte sich in der Ballbesitzphase flexibel im 3-2- beziehungsweise 4-2-Aufbau. Florian Neuhaus bildete gemeinsam mit Engelhardt die Doppel-Sechs und fungierte als zentraler Stabilisator im Spielaufbau. Dabei positionierte sich Ullrich tendenziell flacher als Scally, der auf der rechten Seite deutlich höher agierte und den gegnerischen Flügelverteidiger in höheren Zonen band.

Auffällig war unter anderem Rocco Reitz Positionierung. Dieser schob kontinuierlich im Halbraum höher in die dritte Linie zwischen die beiden letzten Ketten St. Paulis. Diese Positionierung entlastete Reitz von seiner Verantwortung im frühen Spielaufbau und ermöglichte es gleichzeitig, seine spezifischen Stärken in der Spielfortsetzung – insbesondere seine Dribbelqualitäten – effektiver zu nutzen.

Borussias Staffelung im Aufbauspiel

Der Effekt, den Neuhaus auf der Sechserposition ausübte, war immens. Der 28-Jährige agierte zusammen mit Engelhardt als deutlicher Stabilisator im Aufbauspiel Borussias. Beide Akteure kamen insgesamt auf 91 Pässe und 116 Ballkontakte bei einer Passquote von knapp 90 Prozent.

Quelle: SofaScore

Durch die enge Verbindung zwischen Neuhaus, Engelhardt und Gladbachs Abwehrspielern im Aufbau kreierte man ballnah eine extreme numerische Überzahl. Dies führte dazu, dass St. Paulis Sechser ohne direkten Gegenspieler blieben, während die Stürmer der Gastgeber nicht effektiv pressen konnten, da sie sich in numerischer Unterzahl befanden.

Neuhaus und Engelhardts tiefe Position im Aufbauspiel (rot eingekreist)

Neuhaus‘ Einbindung im frühen Spielaufbau stabilisierte nicht nur die Ballzirkulation, sondern auch den Spielvortrag. Der Mittelfeldspieler genoss nicht nur Freiheiten in seiner Spielfeldhöhe, sondern auch in der genauen Positionierung. So postierte er sich mal vor, mal zwischen den eigenen Innenverteidigern. Bei der Entstehung des 0:2-Treffers überlud Gladbach den linken Flügel gezielt, indem Neuhaus neben Elvedi stand, während Diks breit und Ullrich hoch schieben konnte. Die Synergie zwischen den genannten Akteuren war evident: Trotz des Pressingdrucks überspielten Diks und Ullrich auf dem Flügel den Gegner.

Auffällig war zudem die diagonale Staffelung, die Neuhaus, Diks und Ullrich inne hatten. Im modernen Fußball sind diagonale Winkel und Staffelungen sehr präsent.

Borussias diagonale Staffelung im Ballbesitz beim 0:2

Wichtig sind sie deshalb, weil diese Winkel Raum und Zeit schaffen für andere Spieler – um den gegnerischen Block herum – gleichzeitig haben sie bei Ballannahme keine verstörte Sicht auf das Spielfeld nach vorn. Bei vertikalen Pässen, muss sich der Spieler, der den Pass annimmt, erst drehen, da er mit dem Rücken zum Tor stehen muss, um den vertikalen Pass annehmen zu können.

Beispiel für diagonales Spiel – Quelle: Spielverlagerung (11.02.2021)
Borussias Tor zum 0:2 in der Entstehung

Zudem hatte Neuhaus´ Präsenz den Effekt, dass die Fohlen einen deutlichen Fokus auf zentrale Zonen im Angriffsspiel pflegten. Samt 64% aller Angriffe der Gladbacher entstanden aus dem Zentrum. Zum Vergleich: St. Pauli hatte lediglich einen Anteil von 33% zentralen Angriffen, was sicherlich mit dem Defensivspiel der Borussen einhergeht. Unter Seoane sind ca. 66% der Angriffe über den linken und rechten Flügel gelaufen. Ein fundamentaler Unterschied besteht also allein darin, zu erkennen, welche Tororientierung Polanski im Spiel der Borussia verankert hat – Daher die frühe Präsenz von Neuhaus; Und die Positionierung im Zentrum von bspw. Honorat.

Quelle: Wyscout

Franck Honorat kam erstmals in einer veränderten Rolle zum Einsatz, die sich deutlich von seiner bisherigen Verwendung unterschied. Vom Mittelfeld-Läufer aus der Breite unter Seoane agierte er nun als zweite Spitze eng neben Stoßstürmer Tabakovic. Diese Rolle hatte im Pokalspiel gegen den KSC noch Machino innegehabt. Honorats neue Positionierung wurde insbesondere bei der Entstehung des 0:2-Treffers bemerkbar: Er hinterlief Smith im Rücken und kam durch sein bogenförmiges Anlaufen auch aus dem toten Winkel des halblinken Innenverteidigers Mets, der Honorats Lauf dadurch nur verzögert registrieren konnte. Der 29-Jährige revanchierte sich für das Vertrauen mit einer direkten Torvorlage, kreierte einen Expected-Assists-Wert von 0,88 und brachte dabei drei seiner fünf Flanken an den Mann.

Borussias Defensivspiel: Kontrolle über alles, was der Gegner machen will

Gladbachs Defensivverhalten in der ersten Halbzeit zeichnete sich durch hohe Organisation und taktische Flexibilität aus. Zwischen der 17. und 30. Minute ging die Spieldominanz zwar auf St. Pauli über – die Gastgeber agierten im 3-2-Aufbau mit ihren typischen Rochaden in den Halbräumen –, doch Borussia hatte adäquate Lösungen parat.

Die Fohlen organisierten sich im Defensivspiel aus einer Hybridformation zwischen 5-2-3 und 5-3-2. Dabei fungierte Florian Neuhaus im linken Halbraum als Pendelspieler. Im Pressingauslöser versuchte Neuhaus, den Halbraum hinter sich mit seinem Deckungsschatten zu schließen und vertikale Pressingwege zu suchen. Verlagerte St. Pauli das Spiel, wich Neuhaus auf seine Achter-Position aus. Dadurch konnten Engelhardt und Reitz deutlich ballorientierter verschieben und Überzahlsituationen in den Zugriffszonen schaffen.

Insbesondere im tiefen Block war Gladbach sehr diszipliniert über die Positionierungen und Verschiebebewegungen Überzahl auf Ballseiten zu schaffen. Auf Basis der Kompaktheit im Zentrum zwang man die Gastgeber auf die Flügel zu spielen und dort wiederum in Überzahl das Eindringen von Außen nach innen zu verhindern. So musste Blessins Elf ständig um den Gladbacher Block spielen, um verlagern zu können. Gladbach besaß die komplette Kontrolle über St. Paulis Ballbesitz.

Borussias Defensivorganisation und Abläufe im tiefen Block

Rocco Reitz hatte im Defensivspiel ein gutes Wechselspiel zwischen seiner Mannorientierung und dem Vorwärtspressing gegen St. Paulis Sechser Fujita + der Raumorientierung, um den Halbraum zu schließen für direkte Pässe in Gladbachs Abwehrkette hinein. Die Folge daraus: 3 abgefangene Bälle – die meisten aller 20 Feldspieler. 

Rocco Reitz fängt den Pass in die letzte Linie ab
Rocco Reitz im Pressing; Borussia zieht sich im inneren zusammen

Diese taktische Flexibilität spiegelte sich auch in den statistischen Werten wider: Gladbach gewann 60 Prozent der Zweikämpfe am Boden und gewann 62 Prozent der Tacklings. Die defensive Stabilität bildete das Fundament für die offensive Dominanz, die sich in einem Expected-Goals-Wert von 2,32 gegenüber 0,88 für St. Pauli manifestierte.

Abschluss und Fazit

Borussia Mönchengladbach fuhr einen verdienten Auswärtssieg beim FC St. Pauli ein. Die Fohlen demonstrierten über die gesamte Spielzeit ständige Kontrolle über das Spielgeschehen in allen Spielphasen. Vor allem im Spiel gegen den Ball tritt man seit dem Bayern München Heimspiel sehr gefestigt und kompakt auf. Gegen St. Pauli bewies man dahingehend völlige Kontrolle, sodass die 34% Ballbesitz in der ersten Halbzeit kaum spürbar wurden.

Im Spiel mit dem Ball macht man seit letztem Dienstags erstmals größere Sprünge. Es wird deutlich, was Trainer Eugen Polanski verlangt: Flaches Passspiel über fest-definierte Positionsschemata, um – auch im Druck – den Gegner ausspielen zu können.

Dabei verschwindet der lange Ball nicht aus dem Werkzeugkoffer Borussias; Er ergänzt Gladbachs Spiel – siehe die Chance von Joe Scally in der ersten Halbzeit, nach Abschlag von Moritz Nicolas.

Individuelle Betrachtungen

Florian Neuhaus‘ Rolle im Spielaufbau hatte einen überragenden Einfluss auf das gesamte Spiel. Der 28-Jährige fungierte als Dreh- und Angelpunkt der borusssischen Spielanlage und ermöglichte durch seine intelligente Positionierung und seine technische Sicherheit sowohl die Stabilität in der Ballzirkulation als auch die Dynamik im vertikalen Spiel. Seine Fähigkeit, Positionen findig zu machen (situativ vor oder zwischen den Innenverteidigern zu positionieren), verschaffte Gladbach Vorteile im Aufbauspiel.

Nico Elvedi präsentiert sich schon seit längerem im Boss-Modus in der Abwehr. Der Innenverteidiger dominierte seine direkten Duelle, zeigte spielerische Sicherheit im Aufbau. Seine Präsenz war maßgeblich für die defensive Stabilität Borussias verantwortlich.

Diks, Sander und Engelhardt stabilisierten nicht nur die Defensive, sondern trugen auch erheblich zum kontrollierten Spielaufbau bei, die durch Neuhaus´Einfluss verfeinert wurde.

Honorats veränderte Rolle kam auch Stoßstürmer Tabakovic zugute. Durch Honorats Positionierung als zweite Spitze und seine Bewegungen in die Tiefe entstanden Räume, die Tabakovic nutzen konnte. Die enge Zusammenarbeit beider Angreifer kreierte für die gegnerische Defensive komplizierte Aufgaben.

Eine Analyse von Deniz Güler (@denizguelr).

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4 Antworten zu „Gladbachs Dominanz in allen Spielphasen – Sieg bei St. Pauli!”.

  1. Avatar von Dieter Stroetges
    Dieter Stroetges

    Hallo Deniz,

    klasse Analyse, die veränderten Abläufe sind mir so nicht aufgefallen, wobei es uns der FC am nächsten Samstach vermutlich nicht so einfach macht. Für meinen Geschmack lässt sich Gladbach weiterhin sehr weit zurück in den 16er drängen ….. Mit allen Risiken die wir aus den letzten Monaten so gut kennen 😦 …. Ist das für diese Defensive ein notwendiges Übel oder ist die Veränderung der letzten Linie (möglichst vor den 16er) einer der nächsten Schritte??? LG

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    1. Avatar von denizguelr
      denizguelr

      Hallo Dieter,
      ich denke, dass Polanski sehr gut einzuschätzen weiß, dass man mit diesem Spielerpersonal nicht dafür geeignet ist intensives (Angriffs-)Pressing zu spielen. Er liegt mMn richtig damit, sich auf das Blockverhalten (kompakt, raum- und mannorientiert zu verteidigen) zu konzentrieren. Das hat GS auch versucht, doch dies mit einem sehr mannorientierten Ansatz. EP kommt über ball- und raumorientiertes Verhalten, und nutzt nur einzelne Mannorientierungen um den unmittelbaren (nächsten) Gegenspieler unter Druck zu setzen. Das Prinzip, das Zentrum aus allen Zonen zu schützen, gelingt bereits sehr gut. Borussia wird sich, vor allem gegen Teams, die – wie St. Pauli – wissen, mit dem Ball umzugehen, immer wieder auf ihr Blockverhalten verlassen können.
      LG und auf einen Derbysieg am Samstag!

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  2. Avatar von Brian
    Brian

    Ich liebe diese Art der Artikel, vielen Dank!

    Was mir noch aufgefallen ist, und vielleicht lese ich da zu viel hinein: Die Prinzipien mit Ball sind nicht nur „einfache“ diagonale Staffelungen, sondern enthalten einige Grundprinzipien des Relationsspiels.

    Im ersten Video sieht man vier Spieler auf einer diagonalen Linie für eine escadinha.

    Die Szene zum 0:2 ist in dieser Hinsicht der Wahnsinn (wenn man es so sehen möchte):

    Nach dem Pass zu Neuhaus sprintet Diks los, um abrupt abzubremsen und die escadinha mit Ullrich zu formen. Nach der doppelten Kombination Diks – Ullrich ergibt sich eine neue Möglichkeit. Ullrich – Rocco – Tabakovic bilden die escadinha. Ja richtig, Rocco, der während der Passage vom rechten Flügel über die Sturmspitze nach links gedriftet ist. Die Staffelung bindet die Verteidigung und gibt Honorat die Möglichkeit, die Tiefe zu attackieren.

    Beim 0:3 gibt es ähnliche Staffelungen:

    Nach Ballgewinn und Pass zu Neuhaus finden sich auf einer Diagonalen Tabakovic und Machino für die escadinha. Pass auf Machino, dann zu Tabakovic mit direkter Ablage zurück (tabela). Machino nimmt Neuhaus mit und attackiert nicht die Tiefe, sondern hält die Position für eine weitere escadinha.

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  3. Avatar von Roland
    Roland

    Guten Morgen,

    losgelöst von allen Emotionen des gestrigen Sieges (Grüße aus Block 13), sieht die Idee von Polanski unterdessen dem recht ähnlich, was Farke auch ganz gerne spielen wollte. Zumindest erinnert mlch vieles an dieses ominöse Spiel in Frankfurt, bei dem man unter Farke ziemlich einmalig gesehen, hat was er wollte. Ihr seid ja auch damals häufiger auf dieses Spiel eingegangen.

    Es sieht nach Konterfußball aus, hat aber häufig seine Entstehung in Toren, die tief vor dem eigenen Tor vorbereitet werden.

    Dazu recht tiefe Balleroberungen, die dann wirklich zu Kontern genutzt werden. Hier kommt uns zu Gute, dass Honorat diese tragen kann.

    Grüße aus Viersen, Roland

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