Borussia 2024/2025: Mit „billigen“ Punkten zurück ins Mittelfeld?

Mit dem 3:0-Sieg über den VfL Bochum ist Borussia nach dem gestrigen Spitzenspiel im Borussia-Park zumindest für den Moment wieder im sicheren Mittelfeld der Tabelle platziert und nach der verkorksten englischen Woche auch punktemäßig im neuen Jahr angekommen.

In dem Sieg gegen Bochum und den Niederlagen gegen Spitzenteams wie Bayern und Leverkusen manifestierte sich zum Jahresstart außerdem mal wieder ein Trend, den aufmerksame Borussia-Fans schon vor Weihnachten beobachtet hatten: ebenso zuverlässig wie Borussia in Spitzenspielen am Ende geschlagen das Feld verlassen musste, konnte man in der Hinserie in Spielen gegen nominell „kleinere“ Gegner überzeugen und die Pflichtsiege einfahren, die noch im letzten Jahr so schmerzlich vermisst wurden – immerhin gab es 2023/2024 nach teilweise erschreckenden Auftritten nur drei magere Punkte aus vier Partien gegen die beiden Absteiger aus Köln und Darmstadt.

5 Punkte gegen die Top 9, gegen den Rest fast makellos

Betrachtet man die Tabelle der ersten Halbserie nur wenige Minuten lang, fällt dem geneigten Borussia-Fan auch ohne großes Analyse-Mindset schnell auf, wie krass sich Borussias gute Ausbeute von 24 Punkten aus der Halbserie aus Siegen über Gegner der unteren Tabellenhälfte speist: ganze fünf Punkte erspielte Borussia aus den neun Duellen mit den Top 9. Ein 0:0 in Leipzig, ein glückliches 1:1 in Mainz sowie ein überzeugender 4:1-Sieg über den Tabellennachbarn aus Bremen – zugleich nach 17 Spielen das bestplatzierte Team, das man in dieser Saison besiegen konnte. Durchschnittlich waren es 0,55 Punkte pro Spiel gegen die Top 9.

Die übrigen 19 Punkte der Hinrunde holte Borussia aus acht Partien gegen die Mannschaften ab Platz 10. Lediglich Augsburg (1:2 in Augsburg) und Dortmund (1:1 in Gladbach) waren hier überhaupt in der Lage zu punkten, während Borussia alle anderen Teams aus diesem Tabellenbereich besiegen konnte. Hier holte man rund 2,4 Punkte pro Spiel.

Borussia: Ein Sonderfall, oder einer von vielen?

Ein paar Fragen, die mir beim Überschlagen dieser Zahlen in den Sinn kamen: ist Borussias Diskrepanz zwischen starken und schwachen Gegnern wirklich so außergewöhnlich? Oder zeigt sie nur ein Muster, das in dieser Saison ligaweit verbreitet ist? Schließlich punkten viele Teams in der unteren Tabellenhälfte kaum, während in einem gewissen Tabellenspektrum ein sehr dichtes Mittelfeld entstanden ist, zu dem ja auch Borussia zählt. Und sollte Borussias Bilanz wirklich so besonders sein: wieso gelingt es dann bislang so zuverlässig, die „billigen“ Punkte zu holen, die man letztes Jahr so dringend gebraucht hätte und wieso scheitert man so zuverlässig daran, „teure“ Punkte zu ernten?

Annäherung mit einem Rechenspiel

Um das Ganze wirklich valide messen zu können, bemühte ich nach dem Sieg über Bochum ein Rechenspiel. Mit Unterstützung einer liebenswerten KI ermittelte ich Faktoren, die den „Wert der Punkte“ in der Bundesliga fiktiv präzisieren könnten. Gemessen am Tabellenstand nach 17 Spielen waren Punkte gegen den Erstplatzierten nun 1,5-fach zu bewerten, während ein Sieg über Platz 18 nur 0,75-fach gewichtet wurde – natürlich mit entsprechender Abstufung dazwischen. So war beispielsweise Bochums Punkt gegen Leverkusen im November 1,45 Punkte wert, während Leverkusen nur 0,75 Punkte dafür erhielt. Der Sieg gegen Bayern München brachte Mainz 05 somit 4,5 Punkte ein. Ein Sieg über den VfL Bochum nur 2,25. Usw. usf.

Mit Blick auf die Aussagekraft der „korrigierten“ Tabelle galt es, darauf zu achten, die Faktoren so zu definieren, dass im Endergebnis ungefähr gleich viele Punkte verteilt wurden wie in der Realität. Natürlich könnte man sonst alles mögliche festlegen. Die „korrigierte“ Tabelle wäre aber reichlich windschief, wenn in der Summe 80 Punkte mehr vergeben wären als in Wirklichkeit.

Keiner sammelt „billigere“ Punkte als Borussia

Und siehe da: das Ergebnis dieser „korrigierten“ Tabelle bestätigte tatsächlich den unter Borussia-Fans schon lange gehegten Verdacht: Borussia erzielte bis zum 17. Spieltag statistisch betrachtet die „billigsten“ Punkte der Bundesliga, indem man die tabellarisch betrachtet leichtesten Spiele dafür gewann. Nach Korrektur durch die festgelegte faktorielle Bewertung der erzielten Punkte stand Borussia 2,3 Punkte schwächer da als in der Realität – das ist mit Abstand Ligaspitze. Ausreißer auf der anderen Seite war Borussia Dortmund, das zwar gut in vielen Spitzenpartien abgeschnitten hatte, aber dafür in Spielen gegen nominell schwächere Teams viel liegen gelassen hatte. Mit der faktoriellen Bewertung waren es hier 2,3 Punkte mehr als in der Realität. Auffällig war zudem, dass St. Pauli als einziges der Teams unterhalb von Platz 8 in der „korrigierten“ Tabelle mehr Punkte hätte als in der Realität. Das lässt sich auf Paulis bemerkenswerte Siege u.a. in Freiburg und Stuttgart zurückführen. Pauli ist also der Favoritenschreck unter den kleinen Teams der Liga.

Die „korrigierte“ Tabelle der Bundesliga nach 17 Spielen mit faktoriell gewichteter Wertigkeit der Punkte.

Was gut läuft: Warum Borussia jetzt „kleine“ Gegner kann

Obwohl Borussia nun ligaweit die nominell leichtesten Spiele für die eigenen Punkte gewinnt, sind die dadurch erreichten Punkte natürlich in der Realität kein bisschen weniger wertvoll – Fatalismus und Relativierung der durchaus erfreulichen Bilanz von 27 Punkten aus 19 Spielen sind also nicht angezeigt. Vielmehr lohnt sich eine Spurensuche: warum gelingt Borussia in dieser Saison, was letztes Jahr so kontinuierlich scheiterte?

Tatsächlich scheint es Borussia in der neuen Saison gelungen zu sein, durch eine Reihe kleinerer und mittelgroßer Maßnahmen deutlich erfolgreicher in Spielen gegen niedriger platzierte Teams aufzutreten: neben personellen Upgrades – allein der Faktor Tim Kleindienst dürfte schon einige Punkte wert gewesen sein – erlangt Borussia in dieser Saison durch ein aktiveres Verhalten im Spiel gegen den Ball selbst mehr Zugriff als im vergangenen Jahr. In der Folge entstehen für Borussia mehr Ballbesitzphasen, die Borussia mit einem nicht extravaganten, aber klassisch-soliden Positionsspiel und kontrollierten Phasen durchaus für sich zu nutzen weiß. Die synchrone Besetzung der Spielfeldzonen ermöglicht es Borussia in den Spielen gegen „kleinere“ Gegner immer wieder, mit einfachen Mitteln eine solide Ballzirkulation aufs Spielfeld zu bringen. Auch wenn Borussias Tore und Großchancen oft nicht aus dem Positionsspiel heraus entstehen, verkürzen sich durch diese Spielphasen die Defensivphasen signifikant, die im letzten Jahr noch viel zu lang waren und das Team regelmäßig erdrückten und körperlich ans Limit brachten. Das wirkt sich sowohl physisch als auch rein mathematisch betrachtet auf die Wahrscheinlichkeit aus, Spiele gegen die genannten Gegner zu gewinnen. Offensiv reicht dann in diesen Spielen oft die individuelle Qualität von Spielern wie Pléa, Kleindienst oder Honorat aus, um die Abwehr des Gegners ausreichend oft zu „knacken“. Zudem wusste Borussia zuletzt auch oft durch gut einstudierte und ausgeführte Standards zu überzeugen.

Was besser werden muss: Warum „größere“ Spiele immer wieder misslingen

Ohne den Wert von inzwischen 22 Punkten aus 9 Partien gegen die unteren Tabellenhälfte schmälern zu wollen (immerhin ist man damit bislang durchweg beruhigend weit von der Abstiegszone weg) muss speziell unter dem Eindruck der beiden Auftritte gegen Bayern und Leverkusen auch Raum für Kritik erlaubt sein:

Letztlich waren beide Auftritte in einer gewissen Zuspitzung sinnbildlich für Borussias Probleme gegen bessere Gegner – auch unterhalb der Preisklasse von Bayern und Bayer. Zu oft beschränkt man sich in diesen Spielen schon bei der Wahl der Startelf und der Grundordnung darauf, bestmöglich das erwartet starke Spiel des Gegners zu (zer)stören und mit einer körperlich unangenehmen und konzentrierten Verteidigungsleistung dagegen zu halten. Auch in diesen Spielen könnte man durchaus auf die o.g. punktuell schon vorhandenen Ansätze im eigenen Ballbesitzspiel setzen, ein gegnerisches Pressing mal aggressiv anspielen oder auch nur die Absicht zu hegen, den Ball länger als ein paar Sequenzen lang flach zu halten, ehe er im hohen Bogen für einen Luftzweikampf auf Tim Kleindienst gedroschen wird. Selbst in guter, bzw. konzentrierter Umsetzung (was man sowohl über Bayern als auch das Spiel in Leverkusen größtenteils sagen kann) reicht dieser Plan nämlich heutzutage einfach nicht mehr aus, um gegen wirklich hochkarätige Gegner Spiele zu gewinnen.

Um wirklich zu einem Team zu werden, das nicht nur gegen „kleinere“ Gegner genug Punkte holen kann, um nicht in den Abstiegskampf zu geraten, sondern das auch mal realistisch über das obere Mittelfeld nachdenken darf, benötigt Borussia dringend ein anderes Selbstvertrauen und Selbstverständnis für das eigene Spiel in Ballbesitz. Wenn die Mannschaft sich vollends auf ein gutes Ballbesitzspiel verlassen kann, das an guten Tagen auch dem hochklassigen Pressing von Mannschaften wie Bayern München oder anderen Teams gewachsen sein kann, dann ist es auch nicht länger notwendig, an diesen Tagen alle fußballerisch hoch veranlagten Spieler für physisch starke Spieler aus der Startelf zu nehmen – und dann ist an guten Tagen auch in Spitzenspielen nicht mehr ein 0:0 das bestmögliche Szenario.

Wie viel Arbeit Borussia trotz aller bestehenden Ansätze im strukturierten Positions- und Ballbesitzspiel allerdings noch zu erledigen hat, war wiederum in den Spielen zu erkennen, in denen der Gegner Borussia (mehr oder weniger) absichtlich die Spielgestaltung überließ. Sowohl beim Ligaspiel als auch beim Pokalspiel in Frankfurt konnte man sich dem Eindruck nicht verwehren, dass Borussia zwar 70% Ballbesitz hatte, aber darüber hinaus nicht sonderlich viele Ideen hatte, wie dieser Umstand zu einem Torerfolg umgemünzt werden könnte. Ähnlich verhielt es sich zuletzt auch in Wolfsburg, wo die Chancenmenge und die Feldüberlegenheit in keinerlei Verhältnis standen.

Diese wiederkehrenden Probleme in Spielen gegen stärkere Gegner zeigen, dass Borussia zwar Fortschritte gemacht hat, aber weiterhin mit den gleichen Grundsatzfragen zu kämpfen hat: Wie kann man eine eigene Spielidee auch unter Druck entfalten und wie soll sie überhaupt in der Tiefe aussehen? Wie kann man in Top-Spielen mehr Mut wagen ohne dabei die Stabilität zu verlieren? Damit schließt sich der Kreis zu einigen übergeordneten Fragen.

Mit „billigen“ Punkten zurück im Mittelfeld – mehr (noch) nicht

Wie ist Borussias bisherige Entwicklung in dieser Saison insgesamt zu bewerten? Was bedeutet das für die kommenden Aufgaben?Ist man nun auf dem Weg, sich im gesicherten Mittelfeld festzusetzen oder ist die Lage vielleicht noch fragiler als sie scheint?

Für mich steht fest: ohne strukturelle Verbesserungen und ein neues Selbstverständnis im eigenen Ballbesitzspiel wird Borussias Schwäche gegen größere Gegner auch in der Rückrunde Bestand haben. Unter diesen Umständen wäre der aktuelle Platz 8 sicherlich schon das allerhöchste der Gefühle. Zumal die Zuverlässigkeit, mit der Borussia die Gegner der unteren Tabellenhälfte bespielte, sich in den vielen Auswärtsspielen gegen diese Gegner in 2025 erst noch bestätigen muss.

Trotz der aufgeführten Baustellen darf man für den Moment aber auch festhalten: Ja, Borussia ist mit den „billigsten“ Punkten der Liga zurück im absolut stabilen Mittelfeld angekommen. Nach 34 Punkten und sieben Saisonsiegen (2024/2025 nach 19 Spieltagen übertroffen!) in der vergangenen Saison ist das ein Erfolg, den wohl viele in dieser Konstellation nicht mehr für denkbar gehalten hätten und zugleich auch eine Grundlage, um bei gutem Polster nach unten zumindest mal wieder von höheren Platzierungen zu träumen. Denn das ist ja bekanntlich nie verboten. Und wie „billig“ oder „teuer“ die Punkte am Ende waren? Das ist letztlich nur ein Rechenspiel.

2 Antworten zu „Borussia 2024/2025: Mit „billigen“ Punkten zurück ins Mittelfeld?”.

  1. Avatar von Gladbachs Defensivspiel raubt Stuttgart die Geduld – Taktikanalyse VfB vs BMG 1:2 – BorussiaXplained

    […] Tobi in seiner Analyse richtig beschrieb (hier nachzulesen), um den nächsten Schritt gegen größere Teams gehen können, wurde bereits paar Tage später […]

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  2. Avatar von Update: Die „gewichtete“ Bundesliga-Tabelle nach dem 25. Spieltag – BorussiaXplained

    […] dem sich die in der Bundesliga errungenen Punkte ein wenig in ihrem Wert bemessen ließen und einen Artikel über „billige Punkte“ […]

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