Taktikanalyse: BMG verteidigt sich bei Bayer mürbe

Borussia Mönchengladbach startet in das Kalenderjahr 2025 mit drei Niederlagen am Stück. Gegen Bayern München und Bayer 04 Leverkusen spielte man allerdings schon gegen die zwei besten deutschen Mannschaften – wo hingegen erstgenannter selbst ein Wörtchen um die Bezeichnung der besten Mannschaft Europas mitzureden hat.

Die Analyse rund um das Spiel am vergangenen Wochenende gegen den amtierenden deutschen Meister, Bayer Leverkusen, steht sinnbildich auch für die Niederlage gegen den FC Bayern München:
Die Borussia verteidigte leidenschaftlich – und hielt sich darüber lange Zeit im Spiel.
Dennoch fiel auf, dass die Fohlen in beiden Spielen kaum Entlastungsangriffe schaffen konnten – weder aus dem eigenen Ballbesitz, noch über das Konterspiel. Dass mit Franck Honorat und Nathan Ngoumou Tempospieler fehlten, ist zwar individuell ein Argument, gruppentaktisch aber keins. Im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (13. Spieltag; Endstand 1:1) konnte die Fohlenelf gegen ein ebenfalls vermeintliches Topteam lediglich einen Non-penalty xG von 0.44 erspielen – mit Franck Honorat in der Startelf; und Nathan Ngoumou, sowie Robin Hack als Einwechselspieler.

Die Analyse ist in zwei Abschnitte unterteilt: Der erste Aspekt handelt davon, wie die Fohlen ihr Defensivspiel angingen; während die zweite Hälfte der Analyse die Ballbesitzmomente ins Auge fasst – Die Fragestellung lautet:
Wieso kann Gladbach nicht mehr aus diesen Phasen kreieren?

Die Defensive: Erneut beginnend im 4-4-2

Die Aufstellung beider Teams.

Die Fohlen gingen das Spiel, wie gegen die Bayern, aus einer 4-4-2 Grundordnung gegen den Ball an. Wieder spielte Reitz auf dem rechten Flügel, während Sander und Kapitän Weigl die Doppel-Sechs bildeten. Cvancara durfte neben Kleindienst das Sturmzentrum besetzen. Beide Außenverteidiger, die unter der Woche in Wolfsburg spielen durften, wurden ausgetauscht: Netz für Ullrich und Scally für Lainer.

Die ersten 5 Minuten sind dennoch irrelevant, da sich mit der verletzungsbedingten Auswechslung des Leverkuseners, Martin Terrier, die Grundordnung des Gegners in beiden Spielphasen veränderte. Leverkusen agierte zunächst selbst im 4-4-2, ehe man mit der frühen Einwechslung von Innenverteidiger Hincapie auf ein 3-2-5 umstellte.

Borussia reagiert und spiegelt wieder den Gegner

Seoane reagierte auf die Umstellung der Leverkusener und spiegelte, wie zu Beginn der Partie (4-4-2 vs. 4-4-2), erneut den Gegner (3-2-5 vs. 5-2-3). Reitz fiel in die Abwehrkette, während Außenverteidiger Lainer zum Halbverteidiger innen umstieg.
Außerdem fiel auf, wie defensivorientiert Weigl und Sander agierten:
Beide Sechser hielten sich raumorientiert vor der Abwehrkette auf, um dort mannorientiert Florian Wirtz zu verteidigen. Das hatte zur Folge, dass die drei Pressingstürmer viele (fünf) Gegenspieler zu verteidigen/ pressen hatten.

Defensivstruktur Bor. Mönchengladbach.

Die beiden seitlichen Stürmer, Cvancara und Hack, pressten aus einer losen Mannorientierung gegen die Sechser, Xhaka und Andrich, die Halbverteidiger Hincapie und Tapsoba an. Das klappte zu Beginn in dieser Staffelung recht gut; vor allem, weil Hack geeignete Pressingwinkel im Anlaufen fand. Stich Hack raus auf Tapsoba, ließ sich Kleindienst fallen, um Andrich mannzudecken. So schloss man das Zentrum, um Bayer die Option einer möglichen Verlagerung über ihre Sechser zu nehmen.

Gladbachs Sechser fehlen in der Manndeckung gegen Andrich und Xhaka.

Die defensiv-orientierten Sechser schlossen zwar erfolgreich den Raum ab und nahmen zunächst Wirtz aus dem Spiel, konnten jedoch kaum Druck auf Leverkusens Sechser ausüben. Leverkusen ist spielstark genug, dass sie Gladbachs Unterzahl (5vs3) im ersten Block ausspielen können; denn in -2 Unterzahl muss das Pressingverhalten im Timing und in der Intensität auf allerhöchstem Niveau sein, um zum Beispiel den Deckungsschatten im Pressing längstmöglich aufrecht erhalten zu können.
In diesen Situationen war das Zentrum löchrig, weil Cvancara und Hack zu früh auf dem Sprung auf Hincapie und Tapsoba waren, sodass Tah den vertikalen Pass an Kleindienst vorbei zu Xhaka oder Andrich spielen konnte.

Gelegentlich war zu beobachten, wie Hack versuchte seine Pressingwinkel zu verändern. Der Flügelstürmer lenkte jedoch meist ins Zentrum, welches – wie vorhin beschrieben – löchrig war. Außerdem verteidigte Cvancara ballfern unsauber und orientierte sich lediglich an Hincapie – und vernachlässigte das ballferne Schließen des Sechsers Xhaka.

Unsauberes Pressingverhalten der Gladbacher Stürmer.

Die Fohlen verteidigten im Nachlaufen sauber und diszpliniert, sodass sie viele Momente auslöschen konnten, ehe Bayer in die Box gelangen konnte – und wenn doch, hat man diese so befüllt, dass man in klarer Überzahl den Strafraum verteidigen konnte.

Jedoch hatte der fehlende Druckaufbau auf Ball und Gegenspieler zu Folge, dass die Fohlen mit zunehmender Spieldauer etwas tiefer fallen mussten – logisch, denn: Borussia investierte viel ins Nachlaufen, um schlimmeres zu verhindern.

Außerdem verpasste man einzelne Pressingauslöser:
Reitz fehlte im Halbraum (am Flügel gebunden durch Grimaldo) und Weigl + Sander waren durch ihre Defensivorientierung nicht da, um bei geeigneten Pressingversuchen der vorderen Offensivspielern nachgehen zu können. Diese Momente braucht es, um die Spieldynamik – sei es zumindest für kürzere Phasen – zu verändern.

Reitz ist auf dem Flügel gebunden; Gladbachs Doppel-Sechs zu weit weg für Pressingauslöser.

Die zweite Halbzeit: Zurück zum 4-4-2 mit Reitz im Halbraum

Um früheren und höheren Zugriff zu bekommen, stellten die Fohlen zur Halbzeit wieder auf ihr 4-4-2 um:
Rocco Reitz verteidigte mannorientiert gegen Andrich, um Leverkusens Anspiele auf ihre Sechser zu verhindern. Durch die Asymmetrie der Bayer-Abwehrkette ließ sich Cvancara seitlich etwas fallen (Hincapie) und Hack rückte hoch, um Tapsoba frontal gegenüber zu stehen.

4-4-2: Weigl und Sander manndecken Wirt im Zentrum; Reitz im Halbraum gegen Andrich.

Leverkusens Staffelung im Ballbesitz veränderte sich jedoch mit Beginn der zweiten Halbzeit ebenfalls:
Während Arthur in HZ1 alleiniger Breitengeber war, kam mit Flügelspieler Tella ein Zweiter, auf der rechten Seite, dazu. Dadurch fiel Arthur in seiner vertikalen Positionshöhe und stand meist mit Gegenspieler Hack auf einer horizontalen Linie.
Bayer veränderte dies, um die Anspiele aus dem Halbraum auf die Sechser, Xhaka und Andrich, zu ermöglichen. Durch Arthurs Position ließ sich Hack aus dem Halbraum breit ziehen, sodass Xhaka größeren Raum bekam.
Der Linksfuß konnte ungehindert aufdrehen, weil Gladbachs Sechser weiterhin bedacht waren, den Raum vor der Kette zu sichern und Florian Wirtz im Zentrum zu doppeln.
Um Tiefe zu sichern fiel Gladbachs Viererkette daraufhin.

Leverkusens doppelt besetzter Flügel auf der rechten Seite.

Auch in der zweiten Halbzeit versuchte Hack Pressingwinkel zu verändern: Der Flügelspieler verstand, dass er Arthur aus dem Spiel nehmen muss, weil Ullrich meist durch einen zusätzlichen Breitengeber (Tella, später Frimpong) gebunden wurde. Das Zentrum war jedoch die konstante Schwachstelle: Kleindienst war bemüht, auf den Pressingmoment zu warten, um Tah frontal anzulaufen; dazu kam es allerdings nie. Sander versuchte vereinzelt in lose Mannorientierungen überzugehen, und wurde sofort damit bestraft im Rücken Wirtz zu verlieren, der in Folge dessen auf den überladenen Flügel der Leverkusener verlagerte.

Hack veruscht im äußeren Bogen anzulaufen.

Borussia geht in Mannorientierungen über und zeigt sich verletzlich

Ab der 60. Spielminute war zu beobachten, wie Borussia das Risiko erhöhte und in Mannorientierungen im Mittelfeldzentrum überging:
Sander und Weigl verließen ihren Sechser-Raum und standen höher, verteidigten jedoch nicht in aggressiver Manndeckung – sondern agierten auf dem Sprung.
Vermutlich deshalb, um sich rechtzeitig korrigieren zu können, im Falle eines direkten Überspielens der Halb- oder Innenverteidiger der Bayerelf. Dadurch kam keine Intensität auf, weil Gladbachs Sechser immer noch zu weit weg waren, als Xhaka und Andrich den Ball bekamen, und folglich das Pressing gar nicht erst begannen.
Insgesamt zu inkonsequent, denn:
Beim dritten Gegentreffer in der 74. Spielminute war es für Xhaka recht einfach aus dem Druck raus und anschließend die Verlagerung auf die ballferne Seite zu spielen. Hincapie konnte frei andribbeln und Wirtz im letzten Drittel finden.

Borussias Mannorientierungen im Zentrum: Sander, Weigl und Reitz gegen Andrich, Xhaka und Wirtz.

Borussias Spiel mit Ball: Woran scheiterts?

Dass die Fohlen insgesamt ein gutes Defensivspiel in Leverkusen zeigten, verdeutlichen die xGA Zahlen. Rechnet man den Elfmeter der Bayerelf raus, so ließ man einen Non-penalty-xGA von etwa 1,08 zu. Ein solider Wert für eine Auswärtsmannschaft bei einem Spitzenteam.
Allerdings haben die fehlenden Ballgewinne in höheren Zonen und vor allem das Ballbesitzspiel verdeutlicht, woran es fehlt, um das Spiel gegen höher-klassige Teams offener gestalten zu können.

»Wir müssen versuchen, auch gegen diese großen Teams in Ballbesitzphasen besser zu werden und uns dann vielleicht das eine oder andere Mal besser aus den Pressingsituationen zu lösen. Dann wäre was möglich.« – Tim Kleindienst nach dem Spiel in Leverkusen

Die Probleme bestehen aus einer Mischung fehlender Übersicht unter Druck, und im zweiten Zuge darin, nicht in den Druck rein spielen zu wollen, um sich anschließend zu befreien.
Eine Mannschaft, wie VfB Stuttgart (um keine absolute Spitzenmannschaft Europas zu nennen) verdeutlicht, wie wichtig dieses Element geworden ist, um aggressive Manndeckungsschemata zu überspielen.
Borussia ließ sich regelmäßig im Pressing der Leverkusener lenken; statt über den Dritten auf die Überzahlseite zu verlagern, spielte Gladbach in die Pressingdynamik des Gegners rein, der uns vermehrt auf die linke Seite (Elvedi, Ullrich) lenkte.

Borussias Staffelung im tiefen Ballbesitz; Bayer lenkt Gladbach im Pressing.

Diese Situationen scheiterten also in der Bereitschaft in den Druck spielen zu wollen, und im konkreten Beispiel daran, die Überzahl auf der anderen Seite nicht erkannt zu haben. Konkreter ist jedoch das Problem, dass Gladbach zu selten die Möglichkeit besitzt in den Druck rein spielen zu können, weil die Positionierungen der Mitspieler fehlen.

„Systeme existieren nicht mehr länger im Fußball, es geht nur um die Räume, die dir der Gegner überlässt. Du musst schnell sein, diese zu erkennen – und wissen, wann der Moment zum Zuschlagen gekommen ist. Und den Mut haben, den Schritt zu wagen, selbst wenn du unter Druck gesetzt wirst.“ – Luciano Spalletti

Der Ex-Napoli-Coach erklärt damit, dass der Raum selten zwsichen den gegnerischen Linien wieder zu finden ist, sondern zwischen den Spielern in der horizontalen Linie, weil sich die Teams in den letzten Jahren vermehrt auf Manndeckungen konzentrieren. Es gibt in Theorie keinen freien Feldspieler mehr, wie zu besten Pep Guardiola Zeiten, der den Gegner so lange verschieben ließ, bis in der Verlagerung ein freier Spieler zu finden war. Die Manndeckungen egalisieren diese Idee.
Borussia steht zu oft hinter pressenden Gegenspielern im Deckungsschatten. Ein beliebtes Ziel hierfür sind meist die Sechser. Die Gegenspieler pressen zusätzlich Abwehrspieler, sodass sie im Deckungsschatten die Sechser schließen können. Das Erkennen dieser Situation und im Anschluss die Entscheidungsfindung zu trainieren, wohin man sich aus dem Deckungsschatten raus bewegt, sind definitiv noch große Entwicklungspotenziale bei der Fohlenelf.

Weigl im Deckungsschatten.
Sander im Deckungsschatten.

Fazit: Tapfere Borussia, die das Fußballspiel der Neuzeit von der Pike auf lernen muss

Die Borussia hat 24/25 kleinere Fortschritte gemacht. Man hat gegen Teams aus dem unteren Tabellendrittel genug Kontrolle im Ballbesitz erlangt, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass durch eine Vielzahl von Angriffen, mehr Tore – und gleichzeitig weniger Gegentore, bedingt durch die höhere Spielkontrolle – erzielt werden.
Eine gute Nachricht für das Kalenderjahr 2025, welches nun mit dem VfL Bochum zu Gast ihre erste Aufgabe dahingehend bekommt.
Die Fohlen müssen jedoch, unabhängig von Gegnerqualität und -form, lernen, dass sich das Spiel mit Ball, fernab jeglicher Positionsspiel-Prinzipien, weiter entwickelt hat. Und dies erfordert mehr Freiheit, mehr individuelle Entscheidungsvielfalt, um dynamisch spielen zu können. Das Pressingniveau der Gegner, vor allem in der Bundesliga, hat sich in den letzten Jahren so stark entwickelt, dass man selten über synchron besetzte Positionen in allen Zonen, den Gegner laufen lässt und folglich irgendwann die Lücke findet. Das Zentrum, das Herz jedes Fußballfeldes, muss öfter bespielt werden. Dazu zählt Mut und Bereitschaft, und das Coaching dieser Dinge:

Wahrnehmung der Situation, Entscheidungsfindung individuell, sowie gruppentaktisch von Spieler(n) und die technisch-taktische Ausführung.

Eine Analyse von Deniz Güler.

3 Antworten zu „Taktikanalyse: BMG verteidigt sich bei Bayer mürbe”.

  1. Avatar von mb
    mb

    Heißt in den „Druck“ spielen, einen Spieler zu finden, der eigentlich gedeckt wird, bzw. fast keine Zeit hat zu überlegen, was er als nächstes mit dem Ball macht und einen hohes Risiko hat diesen sofort wieder zu verlieren?

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    1. Avatar von denizguelr
      denizguelr

      Ins Zentrum zu spielen, obwohl ein Gegenspieler im Nacken sitzt, wäre ein Bsp. dafür. Der Sinn ist, über den Dritten (also über einen im Zentrum) auf denjenigen zu verlagern, der frei steht. Ein beliebtes Konzept, um Manndeckungen (bzw. genauer formuliert: Deckungsschatten) auszuspielen.

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  2. Avatar von Ralf
    Ralf

    Einfach ausgedrückt wie es schon seit ewigen Zeiten ist: Spielen und gehen. Passen und sofort wieder freimachen. In den wenigen Momenten, in denen Borussia das macht, befreien die sich auch sofort. Meistens ist aber: Spielen, stehen, gucken. Dadurch kannst du oft nur zurückspielen und wirst so immer tiefer hinten reingedrängt – bis zurück zum Torwart. Dann kommt der lange Ball.

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